Richie Löffler
Lesedauer 3 Min.Wir haben die Stadt schon immer mit allen geteilt.
Ein zugiger Morgen in der HafenCity. Die Sonne scheint. Doch ein böiger Wind vertreibt die warmen Sonnenstrahlen in alle Richtungen. Wir warten auf Richie Löffler, den mehrfachen deutschen Meister im Skateboarden und Inhaber des Mantis Lifestyle Stores.
Richie ist für uns eine besondere, weil irgendwie so andere Person. Er bewegt sich mit seinen 44 Jahren auf dem Skateboard so natürlich als wäre nichts leichter als auf diesem rollenden Brett durchs Leben zu schweben. Sein Denken und Handeln scheint frei von vielen gesellschaftlichen Zwängen, die uns immer wieder in unserer Bewegung festhalten.
Auf unserem Filmdreh mit Richie haben wir ihn an einige für ihn wichtige Orte in Hamburg begleitet. Und uns natürlich lange mit ihm unterhalten.
hvv switch: Wie bist du zum Skatboarding gekommen?
Richie: Ich habe in einem Donald Duck Comic Tick, Trick und Track auf einem Skateboard gesehen und gedacht, das will ich auch. Das sah nach Spaß aus. Dann habe ich meine Mama gefragt, ob ich auch eins bekommen kann und sie hat mir eins gekauft. Ein kleines Plastikboard. Da war ich acht Jahre alt. Ich war sehr glücklich. Das war ein tolles Gefühl. Am Anfang bin ich nur rumgerollt. Ich wusste gar nichts über Skaten, dass es andere Skater und sogar eine Art Kultur gibt. Zwei Jahre war ich nur alleine mit dem Board unterwegs bevor ich überhaupt einen anderen Skater gesehen habe. Ich war auch auf meiner Schule der Einzige.
hvv switch: Wann wolltest du professionell Skaten?
Richie: Ich habe nie daran gedacht, irgendwann professionell zu Skaten. Das hatte für mich nie eine Bedeutung. Es ist eine Passion. Ich wollte keine Kategorie erfüllen wie das sonst bei Sportlern ist. Ich sehe das als eine Kunstform, als Straßenkunst und weniger als eine Sportform. Was natürlich nicht heißt, dass das andere nicht als Sport sehen können. Es ist physikalisch ja schon sehr herausfordernd. Aber für mich ist es eher Kunst als Sport.
hvv switch: Dann bist du ja irgendwann Wettkämpfe gefahren. Da wurde es schon ernster?
Richie: Klar. Es heißt ja nicht, dass Passion nicht ernst sein kann. Einige sind halt ehrgeiziger als andere. Wenn ich auf einen Contest gefahren bin wollte ich auch gewinnen, habe aber nicht alles darauf gesetzt oder nur noch darauf hin trainiert. Ich wollte gut fahren und eine gute Show hinlegen. Inzwischen ist ja Skaten ja sogar olympisch. Das ist absolut ok, aber ich finde das Bewerten sehr schwierig, da es ja sehr individuell ist.
hvv switch: Du warst mehrfacher deutscher Meister, Skater des Jahres 2009. Was war für dich der größte Erfolg?
Richie: Ich war vierter bei der WM in den USA, knapp an Bronze vorbei. Das war wohl wettkampfmäßig am erfolgreichsten.
Für mich ist Freiheit das wichtigste. Freiheit ist für mich so unabhängig wie möglich von Verhaltensweisen, Zwängen und vorgeschriebenen Etiketten zu sein. Selbstbestimmt mein Ding zu machen. Beim Skaten springst Du aufs Board und die Straße gehört in dem Moment dir. Du machst das, was Du willst.
hvv switch: Tennis- oder Fußballprofis trainieren jeden Tag. Wieviel Training steckt im Skateboarden?
Richie: Ich sehe es eben nicht als Sport und auch nicht als Training, sondern als Ausübung einer Kunstform. Natürlich gibt es bestimmte Tricks und Körperabläufe, die man üben kann und muss. Aber dieses richtige Sport-Skaten mit Trainingszeiten und Essensplänen, dass ist erst in den letzten Jahren gekommen. Skater hatten plötzlich Manager und Trainingszeiten wurden eingehalten. Das hatte ich nie. Das kann jeder für sich entscheiden. Wenn jemand das als Sport sieht und da Karriere machen möchte ist das okay für mich. Es kommen dann ja auch große Marken wie Nike oder Red Bull mit viel Geld dazu, was auch okay ist, da sie vielen Leute große Chancen bieten. Ich gönne es den Leuten. Es ist halt nur nicht mein Weg. Ich war allerdings immer auf dem Board, jeden Tag, habe nie aufgehört. Früher hatte ich nur das Board im Kopf. Schule, nach Hause, Rucksack in die Ecke und dann skaten, bis ich nicht mehr kann. Dann abends nach Hause und eine Ausrede finden, warum man die Hausaufgaben nicht gemacht hat. Ich bin sehr froh über diese, über meine Zeit.
hvv switch: Wann hast du dein Hobby zum Beruf gemacht und das TRAP Skateboard Team gegründet?
Richie: Es war nie eine bewusste Entscheidung ein Skate-Label zu gründen. Auch das ist organisch entstanden. Ich habe gemerkt, dass ich ein Talent habe, zu verkaufen. Und eine starke Lust zu gestalten. Ich war im Vans-Team, die mir weltweit Flüge zu den Wettkämpfen bezahlt haben. Brooklyn Board aus New York (eine amerikanische Skateboard Marke) wollte mich mit Profi-Boards ausstatten. Die sind aber leider pleite gegangen. Da habe ich dann eben meine eigene Marke und mein eigenes Team gegründet. Einer meiner ersten Fahrer im Team war Jürgen Horwarth, der jetzt der Trainer des deutschen Olympia-Teams ist.
hvv switch: Wie haben deine Familie und Freunde reagiert?
Richie: Meine Mutter hat immer gesagt, mach das, was dich glücklich macht. Das war schön, ich hatte keinen Erfüllungsdruck seitens meiner Eltern. Und ich wurde mit 13 Jahren schon gesponsert. Sie mussten also nicht für das Equipment oder die Reisen zahlen.
hvv switch: Ihr macht teilweise sehr waghalsige Stunts. Gab es Rückschläge und Verletzungen?
Richie: Ich habe alles an Brüchen, Gehirnerschütterungen, Prellungen und Blutungen durch. Aber das hat mich nie abgehalten. Als ich jünger war, war die Frage immer nur: wann darf ich wieder skaten? Ich habe mir mit 13 Jahren mal das Handgelenk gebrochen. Die Ärztin hat mein Board in den Mülleimer geschmissen und gesagt, das brauchst du nicht mehr. Da war ich so sauer, dass ich es aus dem Müll genommen habe und mit Gipsarm über die Flure aus dem Krankenhaus geskatet bin! Das ist halt Leidenschaft.
Die Angst fährt aber immer mit. Evel Knievel (US-amerikanischer Motorradstuntman) hat gesagt: „Wenn man in einer Profession ist wie ich, muss man einen sehr positiven Ausblick auf das Leben und auf den Tod haben.“ Nicht jeder Skater hat so viel Evel Knievel in sich, aber ein bisschen hat es jeder. Es gab aber niemals eine Situation, in der ich dachte, ich skate jetzt nicht mehr. Bis heute nicht.
hvv switch: Machst du noch anderen Sport außer Skaten?
Richie: Ich mache noch Kampfkunst, also Tan Tien Chi Wan. Das ist eine Mischung aus Kung Fu und Thai Chi. Kein Angriffssport, sondern innerer Stil. Fernöstliche Philosophie spielt eine große Rolle für mich. Die Essenz des Lebens ist ja am Leben zu sein. Jetzt! Und das ist im Endeffekt SEN. Das ist auch die Schnittmenge mit Skaten. Wenn du da nicht bei dir bist, fliegst du halt auf die Fresse und es tut weh. Skateboarding ist eine sehr direkte, sehr physikalische Art des SEN-Lernens. Das kann man auch über Meditation erreichen, aber für mich ist der physikalische Weg greifbarer gewesen. Es ist die Frage, wie man Meditieren definiert. Skaten ist auch eine Art der Meditation. Man skatet aus dem Bauch heraus, der Kopf ist dabei eher im Weg. Wenn man zu viel nachdenkt, fliegt man auf die Schnauze.
hvv switch: Hamburg war in den 90er Jahren der große Anziehungspunkt der deutschen Skateboard Szene. Wie ist das heute?
Richie: Es gibt immer noch eine sehr aktive Skateboard Szene. Street Skater, Halfpipe Skater und Ältere wie ich, die immer noch aktiv fahren. Es ist eine sehr angenehme, sehr harmonische Szene.
hvv switch: Wie reagieren die Leute auf der Straße auf euch Skater?
Richie: Es gab immer Leute, die sich belästigt gefühlt haben. Durch Lärm oder weil sie meinten, dass wir etwas kaputt machen, wenn wir an Bänken grinden (rutschen). Aber ich finde, dass wir diese Objekte zum Leben erwecken und das wir die eigentlichen Nutzer der Architektur sind. Wir gehen da nicht nur längs, schauen uns das an und verschwinden für zehn Stunden im Büro, sondern wir nutzen den Marmor, die Bänke und die Steine und üben unsere Kunst darauf aus.
Mittlerweile gibt es aber auch immer mehr Leute, die das sehen, akzeptieren und es interessant finden, dass auf öffentlichen Plätzen etwas stattfindet. Das war früher nicht so, da waren wir auf dem gleichen Level wie Punks. Es gab eine abwertende Haltung uns gegenüber: laut, störend, nervig, komische Klamotten. Wieso geht ihr nicht zur Schule oder zur Arbeit? Wieso macht ihr nichts Vernünftiges? Wieso habt ihr Spaß, während wir keinen haben?
Es ist die Wurzel von vielen Aggressionen, wenn am Konzept der Sicherheit gekratzt wird. Und wir sind ein Ausdruck dessen. Man kann und darf auch Spaß haben im Leben. Es sind nicht alles nur durchgetaktete Linien. Wir erinnern manche Menschen daran, dass sie irgendwann in ihrem Leben das Kind abgegeben haben und auf Nummer sicher gehen. Alles, was sie lieben und wovon sie geträumt haben, haben sie an den Haken gehängt. Man sieht eine Gruppe von Skatern, die scheinbar nichts Sinnvolles tun, sich nicht schon um die Rente und den Grabstein Gedanken machen, sondern tatsächlich jetzt im Moment leben und Spaß haben. Und das erzeugt Neid und Missgunst.
Skater sind Kinder geblieben! Wir werden nicht im klassischen Sinne erwachsen. Wir übernehmen Verantwortung und sind gute Eltern. Aber alle, die Skater geblieben sind haben nicht aufgegeben Sachen zu machen, die Spaß machen, die gut tun, mit Freundschaft, Solidarität und Freiheit zu tun haben.
hvv switch: Du machst ja auch Nachwuchsarbeit mit Jugendlichen. Was ist dir dabei wichtig?
Richie: In erster Linie versuche ich, die Basis der körperlichen Bewegung und der Verbindung mit dem Board weiterzugeben. Das man eine Kommunikation durch den Körper mit dem Board hat, das es eine Einheit wird, vom Denken und vom Gefühl her.
hvv switch: Du wolltest auf dem Dach der S-Bahn Landungsbrücken, bzw. auf einem Platz über der Station einen Skatepark mit Kunstskulpturen bauen?
Richie: Ich habe schon immer etwas aus Holz oder Beton gebaut und bei Freunden, die das beruflich machen mitgeholfen. Ich finde es sehr interessant, Plätze zu gestalten, die von Skatern und normalen Menschen gleichermaßen genutzt werden können. Damit dort eine gute Harmonie entstehen kann. Das Skate-Plateau auf den Landungsbrücken war ein solches Projekt, wofür ich damals auch einen Verein gegründet habe. Leider ist es trotz detaillierter Planung und fortgeschrittenen Gesprächen mit allen Beteiligten sehr abrupt gestoppt worden. Aber vielleicht wird es ja doch noch mal was. Aktuell planen wir aber einen Platz für Skater am Berliner Tor.
hvv switch: Hast du Lieblingsorte in Hamburg?
Richie: Da ich Hunde habe gehe ich gerne an die Alster, zu Planten und Blomen, in den Jenisch Park und an die Elbe. Orte, an denen Natur ist. Als Viertel mag ich gerne die Neustadt, die alten Häuser und den alten Hamburger Flair. Skate-technisch sind es in Wilhelmsburg die Quarter Pipes, das sind natürliche Pipes. Da skate ich seit ich 11 oder 12 bin. Das ist kein Skate Park, der ist nicht extra angelegt, sondern aus Skulpturen entstanden. Das eignet sich aber sehr gut zum Skaten, ist sehr organisch. Ansonsten skate ich gerne Street Bowles und Banks.
hvv switch: Was steckt hinter der Kampagne mit dem Titel "Save Wilhelmsburg Banks"?
Richie: Es war mal geplant, die ganze Gegend neu zu bebauen, die Schule neu zu gestalten und die Banks abzureißen. Wir haben dagegen protestiert. U.a. mit einem Instagram Account. Ich habe da viele Events gemacht. Glücklicherweise bleiben die aber erstmal stehen und für alle weiterhin zugänglich.
hvv switch: Wie bewegst du dich meistens durch Hamburg?
Richie: Ich stehe fast immer auf dem Board. Auch wenn ich mit meinen Hunden unterwegs bin. Die sehen mich als Rudelführer und folgen tatsächlich meinen Bewegungen ganz genau, ohne mir in die Quere zu kommen.
Gib deine Träume nicht für eine scheinbare Sicherheit auf. Wir haben nur ein Leben in dieser Form. Es ist zwar kitschig, aber ich lebe meinen Traum.
hvv switch: Hast du auch Dinge, die du weniger gern machst?
Richie: Natürlich muss ich mich auch mit Sachen beschäftigen, die mir nicht so viel Spaß machen. Gerade, wenn man seinen eigenen Laden hat. Ich mache das zwar eher selten, aber hier in dem Laden selber zu bedienen und zu verkaufen macht mir sehr viel Spaß. Es gibt Kunden, die seit 20 Jahren hier kaufen.
hvv switch: Was ist dein Wunsch für die Zukunft?
Richie: In erster Linie wünsche ich mir, dass jeder Mensch für sich weiter lernt und dass das Verständnis dafür, dass wir nicht alleine auf diesem Planeten leben mehr und mehr in jedem von uns wächst. Auch in Bezug auf tägliche Entscheidungen. In Sachen Mobilität fände ich eine autofreie Innenstadt toll. Wo man viele Sachen angenehm mit dem Skateboard, dem Rad oder zu Fuß machen kann. Für mich selber wünsche ich mir, dass ich auch mit 70 oder 80 Jahren noch auf dem Board stehen werde.
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