Das Mobilitätslabor der TU Hamburg
Lesedauer 2 Min.Innovationsprojekte für lebenswerte Städte.
An der Hamburger Uni gibt es ein Mobilitätslabor. Dahinter stehen Anja Berestetska und Max Wiesner, die von Professor Gertz wissenschaftlich begleitet werden. Gemeinsam sind sie Ansprechpartner für junge Erwachsene, die Fragen, Anregungen oder Ideen für Projekte mit Mobilitätsbezug haben. Das Konzept: Ideen der Studierenden und die Bedarfe der Behörden und Verkehrsbetriebe sollen miteinader verknüpft und ein Plattform für den Austausch geschaffen werden. Wir wollen von Anja und Max wissen, welche Projekte sie verfolgen – und wie das Konzept funktioniert.
hvv switch: Welche Tools und Prozesse nutzt ihr im Labor? Wie gelingt das Zusammenspiel von Wissenschaft und Beteiligungsverfahren?
Anja & Max: Wir denken oft an unsere eigene Studienzeit zurück: Welche Formate und Veranstaltungen haben uns richtig Spaß gemacht, wo haben wir am meisten mitgenommen? Diese Ideen teilen wir gern mit unseren Studierenden, bekommen von ihnen Feedback, tauschen mit unseren Kolleg:innen und AG-Parter:innen aus und entwickeln so die kreativen Formate.
Da unsere Veranstaltungen nicht-curricular sind, vefügen wir über gewisse Gestaltungsfreitheit und können viele Formate experimentell ausprobieren: von Design Thinking bis hybride Summer Schools. Wir nehmen gern die führenden Mobilitätsexpert*innen mit an Bord und lassen sie auf Augenhöhe mit Studierenden und Schüler*innen diskutieren. Das Beste daran ist: Die Mobilität betrifft unmittelbar jede/n - dementsprechend ist die Beteiligung immer sehr rege.
Auszuprobieren und Fehler zu machen ist ein Kernelement für Forschung – nur wie viel Raum gibt es dafür unter den Laborbedingungen einer Stadt, die täglich funktionieren muss?
Schaut man die letzte Legislatur auf Bundesebene und den zugehörigen Verkehrsminister rückblickend an, so fällt es einem schnell auf, dass die Stadt- und Mobilitätsplanung oft einer Operation am offenen Herzen gleicht, was sicher nicht immer einfach und zielführend für die nachhaltigere Entwicklung ist. Umso wichtiger ist es, ständig neue Ideen zu entwickeln und über den Tellerrand hinaus zu schauen, um bessere Lösungen zu finden.
Verkehrsversuche wie "Ottensen macht Platz", Rathausquartier oder Klimafreundliches Lokstedt sind daher genau die richtigen Instrumente, um für alte Probleme innovative Lösungsansätze zu finden. Diese werden immer mit ausreichend Vorlauf geplant und natürlich evaluiert. Ein so komplexes System wie die Stadt kann nicht so einfach simuliert werden, man muss manchmal auch einfach “machen”.
hvv switch: Vom Sommer 2019 bis 2022 habt ihr zwischen Wissenschaft, Stadt und Bürgerschaft diverse Mobilitätsthemen entwickelt, welche Projekte ragen für euch heraus?
Anja & Max: Die Creative Innovation Class. Für dieses Projekt haben wir mit der Kreativgesellschaft Hamburg kooperiert, diese führten das gesamte Programm mit über 50 Studierenden und 6 Challenges durch. In unserer Challenge haben wir die Frage “Wie kann die Mobilität junger Familien autofrei, spontan und sicher gewährleistet werden?” in den Mittelpunkt gestellt und über vier Monate mit sieben Studierenden diskutiert. Herausgekommen sind Ideen, den ÖPNV familien- und kinderfreundlicher zu gestalten.
Dann die Summer School. Im September 2021 kamen 18 Studierende aus vier Hamburger Hochschulen zusammen um sich eine Woche intensiv mit dem Gebiet um den Kulturenergiebunker Altona (Kulturenergiebunker) und dessen Mobilität zu beschäftigen. Ziel dieses Prozesses war die transdisziplinäre Wissensvermittlung und Ideenfindung von Mobilitätskonzepten für dieses Quartier. Zum Programm gehörten diverse inhaltliche Inputs, u.a. zu sozialer Exklusion in der Mobilität, zu Angeboten und Zielen der Hamburger Hochbahn, zu Mobilitätsszenarien durch die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) und mehr. Um die Wahrnehmung für dieses Quartier zu schaffen, standen Quartiersrundgänge und Austausch mit den Aktiven des KEBAP e.V. auf dem Programm, weiterhin wurde ein Umfrage zu Mobilitätsbedürfnissen im Quartier durchgeführt. Analysen der Verkehrssituation, der gewünschten und (nicht-)vorhandenen Raumbedarfe der verschiedenen Verkehrsarten waren u.a. Teil des Prozesses. Bedingung für die Summer School war die Bereitschaft, eine selbständige Problemerarbeitung durchzuführen und einen selbstorganisierten Ansatz der Studierenden zu gewährleisten.
(Hintergrundinformation: Der Verein KEBAP e.V. und die Genossenschaft KEGA e.G. planen bis zum Jahr 2025, den NS-Hochbunker in der Schomburgstraße in einen Quartiersenergielieferanten und Kulturzentrum umzubauen. Die teilnehmenden Studierenden kamen von der TU Hamburg, der HafenCity-Universität, der HAW und der Universität Hamburg.)
Und last but not least RALF, das Rundesamt für lebenswerte Fahrradstädte Im Sommer 2020 setzte sich eine interdisziplinäre Gruppe von Studierenden im Rahmen von der EX_Kurs Summerschool Summer School 2020 mit dem Thema Alternativen zum KfZ-Parken für die Straßenraumnutzung in Großstädten auseinander. Daraus entwickelte sich eine Gruppe aus Teilnehmer:innen der Summerschool, u.a. vom Mobilitätslabor Hamburg, Student*innen der HafenCity Universität Hamburg, der TU Berlin sowie Akteur:innen des Zinnwerke e.V. und so war der Folgeprojekt RALF entstanden. „RalF“, kurz für „Rundesamt für lebenswerte Fahrradstädte“ Rundesamt soll zeigen, welche Möglichkeiten bestehen, wenn die parkenden Autos weichen und sich der urbane Raum für seine Nutzer:innen öffnet. Das Team plante und entwickelte funktionale Prototypen einer mobilen Fahrrad-Parkmöglichkeit in verschiedenen Maßstäben, die nun in Hamburg und Berlin rollen.
Die Basis des Hamburger Anhängers ist ein Bootstrailer, auf dem eine rosa-lackierte Holzkonstruktion installiert wurde. Er bietet Platz für vier Räder sowie mobile Sitzgelegenheiten und einen Tisch. Der Anhänger kann von jedem KfZ mit Anhängerkupplung gefahren werden, und er darf ganz legal auf jedem öffentlich Parkplatz stehen.
Das Projekt wurde von der Stadt Hamburg aus dem #moinzukunft-Klimafond unterstützt. In diesem Frühling und Sommer wird RALF auf Hamburgs Straßen anrollen und Aufmerksamkeit für die Verkehrswende schaffen.
Der Berliner Beitrag unter dem Namen „Karawane Parkraum“ ist eine Serie von Anhängern, kleiner und leichter als RalF, die zum Transport an Fahrräder angehängt werden können. Die Anhänger der Karawane sind durch ihre Größe mobiler als RalF und durch die kleinteiligere Aufmachung auch vielseitiger einsetzbar: was einst Parkraum war, wird durch die Karawane zu einer urbanen Küche, Garten, Werkstatt, Spielplatz und Café. Die Karawane Parkraum wurde zusätzlich finanziert aus Fördermitteln des Projektfonds Urbane Praxis.
hvv switch: Lassen sich aus den vergangenen Verkehrsversuchen einige Gesetzmäßigkeiten ableiten. Wann verliefen Projekte besonders erfolgreich?
Anja & Max: Ausprobieren, einfach Sachen machen, von verschiedenen Disziplinen lernen und so die Vielfaltigkeit der Bedarfe einer Stadt wie Hamburg zu verstehen hat bis jetzt immer für spannende Ergebnisse und AHA-Momente gesorgt. Am erfolgreichen ist es dann, wenn es uns von Anfang an gelingt, einen Dialog zwischen Hamburger Verwaltung und den Studierenden/Schüler*innen zu initiieren und zu fördern. So lassen sich die Ideen und die Bedarfe aneinander angleichen, von gegenseitigem Wissen und Erfahrung profitieren und so eine neue Perspektive auf die Projekte eröffnen.
hvv switch: An der Uni entstehen jedes Semester spannende Forschungsarbeiten von Verkehrslärmschutz bis zu Mobilitätsangeboten für Senioren – welche Arbeiten waren für euch besonders?
Anja & Max: Jede studentische Arbeit beleuchtet Aspekte, die es wert sind. Am größten ist unsere Freude, wenn eine Arbeit besonders relevant und gleichzeitig gut ist sowie sich eignet, Öffentlichkeit zu erzeugen. Dies war besonders bei der Arbeit “Pkw-Freiheit in Hoheluft-Ost” so, die Ergebnisse der Studierenden wurden mit dem Bezirksamt Nord und einem Regionalausschuss diskutiert.
Generell sind Autofreiheit und Radverkehr gerade häufig nachgefragte Aspekte. Auch Konzepte wie die 15-Minuten-Stadt und Superblocks sowie Verkehrsexperimente wie Ottensen macht Platz werden gern untersucht.
hvv switch: Welche Akteur*innen fehlen euch noch zum Glück in eurem Netzwerk?
Anja & Max: Wir wollen in Zukunft vor allem viele Wissenschaftler*innen zusammenführen, um ein beratendes Gremium in Mobilitätsfragen zu etablieren. Daher müssen wir unsere Kontakte zur Wissenschaft in Norddeutschland noch etwas ausbauen. Das ist nicht immer einfach, denn der Sektor der Mobilitätsforschung und Verkehrsplanung steht aktuell - und in der Zukunft noch expliziter - vor sehr vielen alten und neuen Aufgaben. Noch mehr Kontakt zu einigen Start-ups und innovativen Mobilitätsdienstleistern ist ebenfalls geplant.
Weiterführende Links:
- http://mobillab-hh.de
- Instagram & Twitter: @mobillab_hh
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- Fotos Mariya Harbalieva