mein hvv switch Punkt
Lesedauer 3 Min.In der Seilerstraße mit Andi Schmidt
Über 160 hvv switch Punkte gibt es in Hamburg. Mit manchen hat man seine ganz eigene Geschichte. Wir treffen spannende Menschen unserer Stadt – an Stationen, die sie häufig nutzen. Dieses Mal: Andi Schmidt, Betreiber des Live-Musikclubs Molotow.
Hamburg Ende Februar. Andreas Schmidt, Betreiber des Musikclubs Molotow auf St. Pauli, ist noch immer etwas aufgewühlt. Und gleichzeitig ist er gerührt. Ende vergangenen Jahres wurden ihm die Räumlichkeiten am Nobistor ohne Vorwarnung gekündigt. Doch die Nachricht empörte nicht nur ihn, sondern löste eine Welle der Solidarität aus, die es in der Kulturlandschaft so selten gegeben hat: Mehrere tausend Menschen gingen am Tag vor Silvester auf den Kiez, um für den Verbleib des Clubs zu demonstrieren. Auf Instagram sendeten Dutzende Künstler*innen Videos mit “Molotow muss bleiben”. Und sogar die Tagesschau berichtete.
„Dass so viel Unterstützung kommen würde, habe ich nicht erwartet”, sagt Andi Schmidt. Das Molotow betreibt der 60-Jährige vor allem aus Idealismus, sagt er. Geld interessiere ihn nicht wirklich. Hauptsache, aus den Boxen komme Musik. Mehrfach stand der Club in den vergangenen Jahrzehnten auf der Kippe. Irgendwie ging es dann doch immer weiter.
Andi selbst startete 1990 als DJ im Molotow. Vier Jahre später übernahm er als Pächter. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde er zu einer der bekanntesten Figuren der Hamburger Musikszene. Er hat viele Bands groß werden sehen: The Hives, Mando Diao, The Killers. Alle standen bei ihm zu Beginn ihrer Karriere auf der Bühne. Wir treffen Andi am hvv switch Punkt Seilerstraße, einer Parallelstraße der Reeperbahn.
Erinnerst du dich an deinen allerersten Abend in einem Hamburger Club?
Also Club – das hieß damals in den 70ern noch Disco, und die erste Disco, in der ich je war, war der Grünspan. Als ich jung war, haben die Läden noch ziemlich früh aufgemacht – um acht. Man konnte bis elf bleiben, auch wenn man noch nicht 18 war. Um 23 Uhr ging dann das Putzlicht an, und dann hieß es: „Alle unter 18-Jährigen raus!”’. Man konnte natürlich auch gucken, wie lange man nicht gefunden wird…
Bist du rausgegangen oder hast du geguckt, ob du gefunden wirst?
Es war unterschiedlich…Ich war damals 15 oder so. Da haut man sich ja noch nicht die Nächte um die Ohren…das kam bei mir erst später. Ich erinnere das so, dass wir dann schon gegangen sind.
Und welches war dein erstes Konzert?
Das erste Konzert, auf das ich alleine gegangen bin, war Nazareth, eine britische Hardrockband. Sie spielten in der Musikhalle. Heute die Laizhalle. Früher haben dort auch Rockkonzerte stattgefunden, alle Bands haben dort gespielt. Warum das irgendwann eingegrenzt wurde, weiß ich nicht.
Man kann viel über dich und das Molotow lesen. Was wir nicht gefunden haben: Bist du eigentlich in Hamburg groß geworden?
Weitestgehend, ja. Die ersten Jahre meines Lebens war ich in Wien, meine Mama kommt von dort. Seit der Schule lebe ich hier in Hamburg.
In welchem Viertel bist du aufgewachsen?
Im Osten der Stadt, zwischen Ritterstraße und Landwehr. Also Hamm Nord, Eilbek, da unten.
Wie hast du dich damals durch die Stadt bewegt?
Ich bin früher viel Fahrrad gefahren. Zur Schule und zurück und zu allen möglichen Sachen, die man damals gemacht hat: Freunde treffen, Schwimmbad, was weiß ich was. Und ansonsten halt mit der U-Bahn beziehungsweise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. In meiner Schulzeit bin ich mit dem Bus 160 von Wandsbek Markt zur Horner Rennbahn gefahren, da war meine Schule.
Und wie bist du heute unterwegs?
Sehr viel zu Fuß. Sonst mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder halt mal mit dem Taxi… aber das eigentlich nur nachts.
Bist du schon mal E-Scooter gefahren?
Ne. Ich weiß ehrlicherweise weder, wie das funktioniert, noch wo ich damit hin soll. Fährt man damit weitere Strecken?
Viele fahren damit eher kurze Strecken, zur U-Bahn zum Beispiel, oder auch zum Supermarkt oder ins Fitnessstudio.
Also dann gehe ich lieber ein paar Schritte zu Fuß. Man bewegt sich eh schon so wenig.
Und Carsharing?
Car-Sharing nutze ich nur, wenn ich mal weiter weg muss. Innerhalb der Stadt fahre ich eigentlich kein Auto.
Wir stehen hier am hvv switch Punkt Seilerstraße. Warum hast du dir diesen Ort ausgesucht?
Ich wohne seit 20 Jahren um die Ecke.
Wie hat sich die Gegend verändert?
Sehr stark natürlich. Es gibt da erstmal die Veränderungen, die man überall sieht: Früher war da ein Fischladen um die Ecke, es gab einen Schlachter, einen Schuhladen, einen Jeansladen, einen Feinkostladen…alle weg. Also: einen Feinkostladen gibt's jetzt wieder. Aber dann so speziell, so italienische Hipsterware aus Süditalien oder sowas. So ganz normale Läden, wo man einkaufen kann, die gibt es halt nicht mehr. Die Mieten kann sich niemand mehr leisten. Und das ist auch der Grund, warum sich der Rest so verändert hat: Nur noch Systemgastronomie und Kioske. Es ist alles sehr eintönig geworden. In den Neunzigern und 2000er Jahren konnte man für sehr geringe Mieten irgendwas ausprobieren.
Vor den Folgen der steigenden Mieten warnst du öffentlich schon seit den 00er Jahren. In einem Interview 2008 hast du gesagt: „Hier stirbt ein weltbekanntes Szeneviertel“. 16 Jahre später: Ist der Kiez tot oder noch am Sterben?
Wir sind noch im Sterbeprozess. Aber es kommt natürlich irgendwann ein Punkt, wo man das nicht mehr umdrehen kann. Ich fürchte, der ist erreicht. Ich weiß auch, dass man ein ganzes Viertel schlecht unter eine Käseglocke stellen kann. Aber Hamburg hat mit St. Pauli etwas, was es sonst eigentlich nirgendwo gibt. Ich bin ja als Musiker viel rumgekommen, überall auf der Welt kennt man St. Pauli und weiß: Da gibt es eine einzigartige Mischung aus maritimer Seefahrer-Romantik, Rotlicht und einer lebendiger Musikszene. Die Seefahrer gibt es nicht mehr, Rotlicht gibt's auch kaum noch – und die Musik, tja. Wenn aber alles weg ist, dann ist St. Pauli ein beliebiges Amüsierviertel, und das gibt's in jeder Großstadt. Dabei kommen viele Touristen deswegen! Bei den Kiez-Touren, die es jetzt immer mehr gibt, können sie nur noch von früher erzählen: Hier war mal der Star-Club, hier war mal dies, hier das.
Historische Touren. Gibt es ja in vielen Städten…
Kann man natürlich auch machen. In Chicago gibt es Al Capone-Touren, obwohl wohl kein Gebäude mehr steht, in dem er mal war. Aber es ist doch ein Unterschied, ob man da reingehen kann und sich das angucken und es vielleicht sogar noch in Betrieb ist wie damals. Die Reeperbahn als Museum? Ist doch irgendwie sinnlos.
Seit 1994, also ziemlich genau 30 Jahren, führst du das Molotow. Seitdem musst du immer wieder kämpfen: 2008 stand der Betrieb auf der Kippe, 2013 musstet ihr aus den Esso-Häusern raus und brauchtet eine neue Bleibe, dann kam Corona. Jetzt wieder eine Kündigung. Ist dieses Mal irgendwas anders, oder hast du das Gefühl, du hast ein Deja-vu?
Einerseits kennt man das. Allerdings ist die Unterstützung dieses Mal deutlich größer. Dass bei der Demo 5000 Leute auf die Straße gehen, ist schon sehr überwältigend. Die Stadt tut auch mehr als früher. Wenn man da vor 20 Jahren jemand sprechen wollte und gesagt hat, man sei ein Live-Club, dann haben die einen vollkommen verständnislos angeguckt. Im besten Fall dachten sie, wir bieten Live-Sex-Shows an. Irgendwann, das ist jetzt auch schon 20 Jahre her, gab es eine Einladung vom Bezirkamt an alle Clubbetreiber. Da war ein Bild an die Wand geworfen, wo alle ‘existierenden Clubs’ der Stadt aufgeführt waren – darunter dann auch das Dollhouse… Heute muss man niemanden einen Musikclub erklären, und wir bekommen wirklich gute Unterstützung.
Ihr habt auch viele sehr prominente Unterstützer*innen, von denen ihr Videobotschaften auf Instagram postet. “Wenn das Molotow verschwindet, ist das ein irreparabler Schaden für die Stadt”, sagt Bela B von den Ärzten, Olli Dittrich spricht von einem „Stück Hamburger Kultur”. Auch Felix Kummer von Kraftclub hat ein Video geschickt und selbst Nachrichtensprecher Ingo Zamperoni ist auf eurem Kanal zu sehen mit “das Molotow muss bleiben”. Seid ihr auf die Leute zugegangen?
Manche kamen auf uns zu, auf andere sind wir zugegangen. Aber alle waren sofort dabei. Und wir haben noch einige in der Hinterhand.
Wer kommt noch?
Das sieht man dann auf Instagram.
Du sagst ja selber über dich, du bist Clubbetreiber aus Idealismus. Irgendwann auch mal überlegt, hinzuschmeißen?
Nein, mir geht es auch um eine gewisse Hartnäckigkeit. St. Pauli muss wenigstens ein bisschen bewahrt bleiben. Es kann nicht sein, dass alles Kreative irgendwann einfach woanders stattfindet – im schlimmsten Fall wie in München im Kunstpark Ost, wo dann alles in so ein Misch-Industriegebiet auf einem Fleck angesiedelt ist. Schrecklich. Und hinschmeißen…ja, das kann ich ja immer noch irgendwann.
Du bist bekannt für dein Gespür für Talente. In einem Interview wurdest du 2018 gefragt, welche Band, die jüngst bei euch aufgetreten ist, deiner Meinung nach bald richtig durchstarten wird. Du sagtest Yungblud, heute 4 Mill. Follower auf Instagram und weltweit gebucht…
Ja, die sind ziemich fett geworden, ja. Idles auch, das hätte ich das Jahr davor gesagt…
Und dieses Jahr?
Jetzt würde ich Sprints sagen. Die haben gerade letzte Woche gespielt, von denen wird man noch viel hören. Sie kommen aus Dublin und sind fantastisch.
Gibt es in den kommenden Wochen ein Konzert, auf das du dich besonders freust?
Die deutsche Punkband Donots spielt bald zwei Konzerte bei uns, sie sind dem Molotow sehr verbunden. Darauf freue ich mich sehr.
Wie sieht nach all den Protesten die aktuelle Lage für das Molotow aus?
Aufgrund des großen Widerstandes haben wir eine Gnadenfrist bekommen und können doch bis Ende des Jahres am Nobistor bleiben. Das hilft. Viele Bookings für den Herbst sind uns zwar durch die Umstände schon weggebrochen, aber ein bisschen was kann man noch retten. Wir haben immer einen Vorlauf von einem Jahr bei den Acts, deshalb haben wir immer gesagt: Wir brauchen ein Jahr Kündigungsfrist minimum.
Und gibt es schon eine neue Location in Aussicht?
Viele Leute haben Ideen, und ich hab mir auch schon Sachen angeguckt. Bisher war nichts dabei. Das größte Problem sind potenzielle Beschwerden über Lärm. Wenn neben der Immobilie ein Hotel ist, hat man als Club keine Chance.
Hotels gibt es hier viele.
Es sind nicht nur Hotels. Problematisch sind auch die Leute, die nach Pauli in ihre schicken Eigentumswohnungen gezogen sind in den letzten Jahren, weil sie gerne im bunten Viertel wohnen wollen. Abends haben sie dann aber bitte gerne ihre Ruhe. Ruhige Viertel gibt es doch genug in Hamburg. Langenhorn zum Beispiel. Schön da. Sowas hat es hier früher nicht gegeben. Da wusste jeder: Lärm gehört dazu. Es ist aber wohl nicht so einfach eine Regelung zu finden, die einfach sagt: Wenn du hierherziehst, musst du mit dem Nachtleben leben...
Wo gehst du heute noch hin, außer ins Molotow?
Es gibt noch zwei Läden von früher: Der Komet und der Gun Club. Die gibt es schon seit den 90ern, und seitdem schaue ich da immer mal wieder vorbei. Dann gehe ich noch gerne in die Korallbar. Und im Hafenklang gucke ich mir viele Konzerte an.
Hast du einen Lieblingsort in Hamburg?
Ja, den habe ich. Das ist unten bei den Landungsbrücken bei der Brücke 10. Da kann man gut sitzen und auf die Elbe schauen. Super Fischbrötchen gibt es auch. Das geh’ ich schon seit vielen Jahren hin mit meiner Frau. Wir setzen uns auf die Poller, schauen aufs Wasser und finden das gut.