Social Entrepreneur Jannes Vahl
Lesedauer 4 Min.Freiheit ist für mich die Demokratie, die wir in diesem Land haben.
Der Ball wird über den rohen Boden gedribbelt. Die Schritte wechseln sich im Takt dazu ab. Mit Blick auf den Korb landet der Ball lautlos im Netz. Jannes freut sich über den gelungenen Wurf. So wie er sich über vieles freut. Über die großen wie kleinen Dinge, die er mit dem Verein clubkinder bewegt und verändert. Denn darum geht es Jannes: Dinge verändern, zum Positiven. Für die Menschen und unsere Gesellschaft.
hvv switch: Was ist der clubkinder-Verein?
Jannes: Wir sind ein gemeinnütziger Verein mit sechs verschiedenen Satzungszwecken: u.a. Geflüchtete, Altenhilfe und Umweltschutz. Es gibt Wochenenden, wo wir völlig verschiedene Aktionen aus unserem Büro heraus parallel machen, z.B. ein Plogging für die Umwelt, also ein Müllsammeln mit Bollerwagen und buntem Klamauk. Dabei sind wir am liebsten noch mit PartnerInnen auf Mission: gemeinsam mit Spaß, Entertainment, Livemusik und anderem Kokolores. Wir sammeln herumliegenden Müll und Kippenstummel aus Parks, von Grünflächen, Straßen und öffentlichen Plätzen ein. Damit machen wir quasi im Vorbeigehen darauf aufmerksam, wie viel davon jeden Tag unnötigerweise in der Natur landet. Wer zwischendurch ein Schlückchen mag, der sollte einen Eierbecher um den Hals tragen. Damit wuppen wir auch unsere Laternenumzüge und unsere Kohlfahrten für den guten Zweck, wenn nicht gerade Corona wütet.
Viele Spendenveranstaltungen machen wir eh ganz regelmäßig - und einiges kurzfristig nach Bedarf wie Demos gegen Rechts mit 10.000 Teilnehmenden oder unseren Beitrag für faire Mode zur Parade vom Fashion Revolution Walk. Und vor Corona hatten wir verschiedene eigene Partyreihen im „Unterm Strich“, unserem Nachtclub auf der Reeperbahn. Das ist auch immer schön plakativ, weil wir einen eigenen Club betreiben, wo wir Spenden sammeln. Einmal haben sich 14 Künstler aus niedrigschwelligen Stadtteilen wie Mümmelmannsberg, auf die Bühne getraut und eine komplette HipHop-Nacht gefreestylt. Die kamen alle aus der Szene und von der Straße. Das war eine tolle Stimmung, schön bunt. Wir machen sowieso viele szenige Sachen in der Gastronomie und auf Bühnen. In St. Pauli oder mit Auftritten auf den Craft Beer Days. Damit erreichen wir spitzenmäßig neue Leute für Spendenaktionen. Auch auf Metal-Festivals, Elektropartys oder Streetball-Tunieren. Das ist wirklich sehr vielfältig - und viel Arbeit: Inzwischen haben bei uns 35 Leute Führungspositionen.
hvv switch: Wie hat das denn alles angefangen?
Jannes: Die Gründung des clubkinder e.V. war damals eine Art Protest, entstanden aus der Unfähigkeit, etwas aus einem Verlag heraus für das System zu tun, wenn die Leitung darauf besteht, nicht zu politisch und nicht zu viel über Charity zu berichten. Ich habe mich deshalb mit meinem besten Freund Joko zusammengetan. Wir haben unterschiedliche Stärken und ergänzen uns sehr gut. Er ist sehr analytisch, strategisch und Zahlen-stark in der Geschäftsführung und im Vereinsvorsitz. Ich bin eher Netzwerker, Motivator und Ideengeber, die er dann optimiert. Ich liefere gerne am laufenden Band Impulse - was könnte man in der Gesellschaft gerade alles verbessern? Da fällt meinem Netzwerk und mir immer viel ein.
Ich habe 12 Jahre lang das Stadtmagazin PRINZ geleitet. Später auch im bundesweiten Kollektiv aus 14 Städten und war eben auch Hamburg-Chef. Ich habe da gekündigt, weil ich nicht mehr meinen Schreibtisch verlassen konnte. Also quasi genau wie heute, haha. Ich war nicht mehr im Pudel oder im Oberhafen, sondern habe die ganze Zeit nur Inhalte für irgendwelche Kooperationen produziert. Joko kam auch aus dem Bereich Medien und dann haben wir unser Netzwerk und unsere Expertisen zusammen geschmissen und 2011 den gemeinnützigen Verein gegründet, der eben nicht mit Ökopapierflyern und einer Blechbüchse im Regen nach Kupfergeld bettelt, weil es irgendwelchen Menschen oder Tieren schlecht geht, sondern der auf Augenhöhe im „Uebel & Gefährlich“, auf „Kampnagel“ und in der „Bullerei“ mit Prominenten anfängt, Spenden zu sammeln.
Das war anfangs auf der einen Seite sehr Trial und Error - mäßig organisiert und angedacht und ausprobiert und abgebogen. Und auf der anderen Seite startete das aber gleich mit sehr guten Leuten, die gut schreiben, designen, werben und motivieren konnten. Das erste Event von Joko und mir war gleich ein clubkinder-Festival, das von Donnerstag bis Sonntag ging. Da haben wir den Locations frei gestellt, wie sie spenden. Sie mussten aber spenden. Nachher haben, ohne große Werbung, ohne Facebook etc., 82 Locations mitgemacht und Spenden gesammelt. Sie haben mit sehr viel Engagement jedem Gast erzählt, was da gerade passiert und wofür gesammelt wird. Das war der Kickoff von unserer Art und Weise, Spenden zu sammeln. Wir sind sehr nah an Viva con Agua und wollen gemeinsam mit ein paar anderen das Ehrenamt verjüngen und Spenden cool machen. Mit Promis, Partys und Gästeliste. Das Festival fand noch zwei Mal statt. Im Laufe der Zeit haben wir alles verfeinert, z.B. das wir die Ehrenamtlichen in ihrem Engagement konkreter abholen über Musikrichtungen, über Stadtteile und über Spendenzwecke. Wir haben inzwischen sechs Teams. Und wir haben dabei festgestellt, dass wir damit inzwischen mehr Politik machen als manche PolitikerInnen. Bevor die Politik entscheidet, wofür Steuern ausgegeben werden, können wir als gemeinnütziger Verein einen Teil davon abzwacken und als direkte Hilfe für Bedürftige umleiten. Wir haben ein eigenes Team, um zu prüfen, wohin die Spenden gehen und das zu verifizieren. Wenn Tim Mälzer oder Cosma Shiva Hagen im TV bei einer Quizshow 10.000 Euro gewinnen und das über spielen oder wir uns mit 20 Ehrenamtlichen am Tag den Arsch aufreißen… die clubkinder sind wirklich ein schöner Hebel geworden, um an Geld für tolle soziale Projekte zu kommen.
hvv switch: Beschreibe doch mal ein aktuelles Projekt.
Jannes: Im Bereich Klimaschutz haben wir vor Corona die Hamburger Gastronomie plastikfreier gemacht. Keine Strohhalme und Plastikbecher mehr. Wir tingeln dafür in Dreierteams die Gastronomie ab und versuchen, die Leute zu überzeugen, auf Plastik zu verzichten. Wir geben den Leuten Infomaterial, wie lange es dauert, bis ein Strohhalm verrottet und welche Meerestiere davon betroffen sind etc. Und dann geben wir ihnen Alternativen wie z.B. Gras, Metall oder auch eine Nudel und erklären die Vorteile. Seit 2020 konzentrieren wir uns aber stark auf digitale Ideen, z.B. einsame SeniorInnen dort mit Ehrenamtlichen zum Spielen zu vernetzen oder auch bildungsferne Jugendliche überhaupt an Equipment und ins Netz zu bekommen.
hvv switch: Woher kommt dein Engagement?
Jannes: Ich bin ein Scheidungskind und meine Mutter ist schon immer sehr sozial gewesen - obwohl sie drei Kinder mit Sozialhilfe durchbringen musste. Sie hat sich schon immer für Minderheiten eingesetzt, hilft heute noch im Hospiz. Das hat mich geprägt und ich habe einen Tag nach dem Abitur in einem Heim für Menschen mit Behinderung angefangen. Ich habe den Zivildienst dann um ein freiwilliges soziales Jahr bei der Diakonie verlängert und das dann nochmal als studentische Aushilfskraft. Auch im Stadtmagazin habe ich versucht, mein Augenmerk eher auf Subkultur und Gängeviertel als auf Glitzer-Partys zu legen. Ich hab parallel zu Joko halt irgendwann gemerkt, das wir ein Talent haben, Leute zu erreichen und die Leute mitzureißen und für Ideen zu begeistern und dann eben auch zu führen und motiviert zu halten. Clubkinder ist eine Plattform, die wir der Stadt geschenkt haben, wo sich jeder Mensch für den guten Zweck austoben und mit Ideen die Welt besser machen kann. Wir stellen dafür Netzwerk und Ehrenamtliche und alles Nötige zur Verfügung.
Freiheit ist, dass wir in erster Linie in Deutschland ja noch machen können, was wir wollen, solange es keinen Gesetzen widerspricht.
hvv switch: Hast du das Gefühl, dass der Zuspruch, die Unterstützung sich in den letzten Jahren verändert hat und das gerade junge Leute etwas bewegen wollen?
Jannes: Hamburg ist sowieso ein besonderes, tolles Pflaster, aber es gibt auch eine Politisierung von jungen Leuten und es gibt mehr Zuspruch, sich zu engagieren. Nicht nur politisch, für das Klima auf die Straße zu gehen oder gegen Nazis zu demonstrieren, sondern sich auch aktiv einzubringen in unsere Gesellschaft. Ein großer Teil unsere Arbeit ist es, dieses Engagement in die richtige Richtung zu lenken. Sprich, die jeweiligen Stärken der Ehrenamtlichen zu nutzen und ihnen entsprechende Aufgaben zu geben. Also nicht 100 Leuten Stühle in die Hand zu drücken und sagen, baut mal auf, sondern den Grafiker, die Handwerkerin, den Netzwerker, die Musikerin etc. entsprechend ihres Könnens einzusetzen. Wir wollen so viele Leute jeden Alters wie möglich erreichen, die Hamburg zu einer noch lebenswerteren Stadt machen, etwas verändern wollen. Gerade junge Leute wollen heute etwas bewegen. Das sieht man bei jeder Demo für Lampedusa oder bei den Fridays for Future oder auch alle zwei Wochen im Millerntor Stadion. Sie wollen permanent aufzeigen, dass ihr Verhalten, ihr Einkaufszettel und ihr Konsumverhalten etc. einen Unterschied macht. Das nimmt zu. Es gibt viele 25-jährige, die mit tollen Ideen soziale Start Ups gründen, auch denen hilft unser Verein gerne. Das finde ich alles unglaublich spannend. Unsere Eltern haben uns ja eine Welt des Turbo-Kapitalismus hinterlassen, ohne Respekt vor irgendwem oder irgendwas außer Gewinn und das müssen wir wieder gerade biegen. Am Planeten und den Menschen und allen anderen Bewohnern. Und es muss noch viel mehr Initiativen und Start Ups und Privatpersonen geben, die etwas Positives bewegen wollen. Selbst riesige Bewegungen wie #metoo oder #BlackLiveMatters sind ja auf eine Person zurückzuführen, die den entscheidenden Impuls setzen - hier in zwei schrecklichen Fällen, aber am Klimawandel, an sexuellem Missbrauch oder an globaler Ungleichheit ist auch nichts Schönes. Wir alle müssen uns einmischen!
hvv switch: Was ist dein persönlicher Begriff von Freiheit?
Jannes: Ich bin in fast allen Belangen frei und kann Ideen entfalten und ausleben - ich bin nun allerdings auch ein weißer Mann in Hamburg, Deutschland. Die Freiheit für mich ist die Demokratie, die wir in diesem Land haben, und die in vielen Ländern auf diesem Globus ja gerade stark gefährdet ist. Dafür, dass diese Freiheit in allen Belangen erhalten bleibt, müssen wir uns jetzt bewegen. Alle müssen sich da immer bewegen, Demokratie ist einfach auch viel Arbeit. In Hamburg tun das ja schon sehr viele, auch mit eigenen Ideen. Auch das ist eine Form von Freiheit, dass man sich aussuchen kann: wie und wofür man sich engagiert. Z.B. auch für das Recht auf eine bestimmte Sexualität, auf die in anderen Ländern die Todesstrafe steht oder so simpel wie unerreicht: das Recht auf gleiches Recht.
hvv switch: Was bedeutet dir Hamburg?
Jannes: Ich bin gebürtiger Oldenburger, aber einen Tag nach meinem Abi nach Hamburg gezogen. Wir sind in Oldenburg ja immerhin deutscher Basketballmeister geworden, es ist schön ruhig dort und es gibt viele Fahrräder, aber ich konnte dort halt nichts bewirken. Ich wollte immer schon schreiben und so hat es mich in die Journalismus-Hochburg Hamburg gezogen. Ich mag die Übersichtlichkeit der Stadt, aber es ist trotzdem schön groß und immerhin ja auch zurecht das fucking Tor zur Welt. Es kommen viele Leute hierher, wir sind sehr weltoffen und Hamburg ist einfach eine schöne Stadt. Man weiß, auf wen man sich verlassen kann und muss sich nicht jede Woche einen neuen Kiez erschließen. Es gibt viele tolle Menschen, auch viele Zugezogene, die neue Impulse setzen, neue Kunstprojekte gründen und neuen, coolen Input in die Stadt bringen. Das ist sehr nah an meiner Mentalität. Ich glaube, in noch spannenderen Städten wie New York oder Berlin würde ich auf lange Sicht eher zerbrechen, weil ich da mein Wirken nicht begrenzen kann, weil da alles so unendlich ist.
Hamburg ist die schönste große Kleinstadt, die ich mir für mich vorstellen kann. Viel Wasser und viel Grün. Das viele Geld in der Stadt bewegt auch viel. Hier wird viel getan für Kultur, für Integration, für Bildung, für neue Technologien. Es ist in allen Bereichen spannend.
hvv switch: Wo bewegst du dich in Hamburg?
Jannes: Ich wohne zwischen Barmbek und Winterhude, zwischen Stadtpark und Alster - und bin noch nie umgezogen. Ich fahre U3 und Rennrad, habe noch nie ein eigenes Auto gebraucht hier. Für das Stadtmagazin habe ich mich zehn Jahre sehr intensiv durch Hamburg bewegt, jetzt besuchen wir Geflüchtetenheime, gemeinnützige Vereine und KundInnen im ganzen Stadtgebiet. Also kenne ich so gut wie jede Ecke hier. Mein Lieblingsort, bei allen Terminen und der vielen Arbeit, ist meine Wohnung. Auf dem Basketballplatz bei mir um die Ecke bin ich früh morgens oft und ich mag meinen Falafelladen. Mit der Reeperbahn verbindet mich viel, wir hatten unser erstes clubkinder-Büro am Hans-Albers-Platz. Das war hart, man hörte 18 Stunden am Tag Helene Fischer und ab 17 Uhr konnte man nicht mehr arbeiten, wegen der betrunkenen Touristen. Wir haben ja auch unseren Club dort. Der Spielbudenplatz ist für uns auch sehr wichtig, da haben wir schon sehr viele Veranstaltungen gemacht, viele Konzerte mit den verschiedensten Künstlern organisiert. Und wir haben in dem Zusammenhang natürlich auch mit dem Rotlicht-Milieu und der Davidwache zu tun gehabt. Das gehört wohl dazu.
Hinweis: Das Portrait über Jannes ist vor Corona entstanden. Daher sind im Portrait einige Szenen enthalten, die heute so nicht mehr machbar gewesen wären.
"Mut kommt vor Veränderung" Playlist auf Spotify
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