Greta Silver
Lesedauer 3 Min.Alter ist eine Form von Freiheit. Freut euch drauf!
Mit Greta Silver treffen wir wohl auf einer der bemerkenswertesten Frauen ihrer Generation. Sie ist Podcasterin, Youtuberin, Autorin und Model. Wild, lebendig, bunt und so frei im Kopf, dass wir uns fragen, warum wir, um so viele Jahre jünger, so begrenzt denken und handeln.
Der eigentlich regnerische und diesige Tag wird durch die kleine Reise mit ihr auf einmal farbenfroh, sonnig und leicht. Dabei teilt sie ihre Gedanken so selbstverständlich mit uns als würden wir uns schon Jahre kennen. Am Ende des Tages steht ein großes Wow im Raum. Leise wünschen wir uns auch so zu werden wie Greta. Auf unsere Art, aber so lebendig, ungestüm und frei wie sie.
hvv switch: Was ist Dein Lieblingsort in Hamburg?
Greta: Ich bin gerne am Elbstrand, gehe gerne in Museen oder in die Deichtorhallen zu Ausstellungen. Ich bin aber auch gerne in der Hafen-City. Das Museumsdorf in Volksdorf ist auch toll, da wirst du in die Vergangenheit reingebeamt. Es ist aber auch ein funktionierender Bauernhof. Die haben noch Äcker, Schafe und so etwas. Es ist ein Kulturgut, das man da besichtigen kann.
hvv switch: Was macht für Dich Bewegungsfreiheit bzw. Freiheit aus?
Greta: Ein Beispiel: Als die Kinder aus dem Haus waren dachte ich: wie schade, du hast jetzt keine Kinder mehr hier hast, würdest aber gerne Rodeln. Und dann habe ich gedacht, wieso brauche ich dafür ein Kind? Dann bin ich alleine losgegangen, habe meinen Holzschlitten genommen und bin in den Schnee raus. Und was habe ich geerntet? Nur Daumen hoch und wie cool ist das denn. Also mittlerweile habe ich ja nun Enkelkinder, aber ich brauche sie nicht mehr, um bestimmte Dinge zu rechtfertigen. Ich gehe auch alleine auf den DOM. Ich liebe es, Kettenkarussell zu fahren. Selber meine eigenen, meine inneren Grenzen immer wieder zu hinterfragen, sie zu überwinden und die Flügel auszuklappen, dass ist Freiheit.
Bewegungsfreiheit ist eigentlich alles, was von innen kommt. Also die Freiheit, die ich mir nehme. Nicht die, die ich netterweise serviert bekomme, sondern Freiheit hat etwas mit meinen eigenen Begrenztheiten zu tun. Grenzen überwinden, das heißt, etwas machen, was vielleicht von anderen nicht erwartet wird. Das ist für mich Freiheit.
hvv switch: Wie wichtig ist dir, dich immer wieder neu zu erfinden?
Greta: Ich war 17 Jahre lang Hausfrau und Mutter, wurde dann mit Ende 40 zur Businessfrau, oft mit nur vier Stunden Schlaf die Nacht. Mit 60 begann ich zu modeln, mit 66 startete ich meinen YouTube Kanal mit mittlerweile über 500 Filmen und 3 Mio Clicks. Ich habe zwei Spiegel-Bestseller geschrieben und einen Podcast mit 100.000 Abonnenten. Aber das passierte alles eher unbewusst, eins hat sich aus dem anderen ergeben. Das war mir ja gar nicht so klar, dass ich meinen Typ verändere, mein Aussehen, mein Denken und so weiter. Das ist eigentlich so entstanden. Aber es gab hinterher die Feststellung von Freunden: Greta, du hast dich ja völlig neu erfunden.
Ich bin ständig unterwegs und immer wieder ergibt sich etwas Neues. Ich habe zur Zeit viele Bälle, also Projekte, in der Luft. Da bin ich froh, dass ich Excel-Tabellen beherrsche, um das alles zu koordinieren. In dieser Beziehung sage ich immer: Bloß kein Stillstand. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch meine Ruhephasen auf dem Sofa brauche. Ich regeneriere allerdings sehr schnell.
hvv switch: Was ist Dein Ansatz/ Dein Antrieb bei all diesen Aktivitäten?
Greta: Als ich mein erstes Buch schrieb oder als ich den Kanal anfing war mein Ansatz, dass ich der Welt erzählen wollte, wie toll es ist, alt zu sein. Heute will ich noch mehr: ich will Deutschland den Grauschleier wegziehen. Man wird ja schon mitleidsvoll angeguckt, wenn man sagt: Ich bin 70. Ich möchte diese Altersgrenze im Kopf der Menschen wegbewegen. Die Zeit von 60 bis 90 ist schließlich genau so lang wie die von 30 bis 60. Warum soll ich nicht ein orangefarbenes Sweatshirt anziehen? Oder Turnschuhe? Das ist wirklich nur im Kopf der anderen Menschen und diese Grenzen zu beseitigen, das macht mich frei!
Alter ist cool. Weg mit den Zäunen im Kopf! Jetzt ist die beste Zeit, das Leben zu genießen.
hvv switch: Ist Hamburg dazu die richtige Stadt? Ist die sehr frei?
Greta: Oh ja. In Hamburg ist doch alles sehr salopp und frei. Ich hatte mal Besuch aus Süddeutschland. Der erzählte mir: bei uns muss innerhalb der Familie am Wochenende jemand ausgeguckt werden, der den Wecker stellt, damit er die Jalousien hoch macht. Damit die Nachbarn denken, wir sind alle schon aufgestanden und dann legt er sich wieder ins Bett. Und da habe ich gesagt, das ist ja unvorstellbar, das interessiert hier in Hamburg keinen. Du kannst hier alles machen. Da kommt doch keiner und sagt: entschuldigen Sie mal, das geht nicht. Wenn man sich die Vielfalt der verschiedenen Stadtteile anguckt: Blankenese ist für mich ein bisschen italienisch, die coole Hafencity, die rockige Schanze, diese edle Jungfernstieg-Alster-Geschichte. Dann die dicken Pötte im Hafen oder auch den Elbstrand. Da denkst du ja, du bist an der Ostsee. Das alles ist Hamburg! Das ist doch megastark! Hamburg ist eine so tolle, freie Stadt. Ich bin immer noch schockverliebt in meine Stadt Hamburg, seit über 40 Jahren. Wenn ich mit Besuchern durch die Stadt fahre und den Hafen zeige, dann könntest du glauben, der Hafen gehört mir, so stolz bin ich darauf.
hvv switch: Wie ist Hamburg im Vergleich mit dem Ort, wo du aufgewachsen bist?
Greta: Ich komme ja vom Land, richtig vom Bauernhof in Niedersachsen. Wir zogen ja dann vom Land in ein Dorf mit 3.000 Einwohnern. Es gab da schon ein Kino. Wir fanden es sensationell. Ein Kino! 1975 nach Hamburg zu ziehen war zwar kein Kulturschock. Aber ich dachte schon: oh weh, wie kannst du hier Kinder erziehen? Wie soll das funktionieren, wie kann ich denen die Werte vermitteln, mit denen ich aufgewachsen bin? Wie kann ich denen denn vermitteln, dass für den anderen da zu sein eine Freude sein kann. Deswegen bin ich ja losgezogen und habe mit ihnen Plätzchen gebacken und die ins Altersheim gebracht, damit die selber sehen und fühlen, wie toll das ist, wenn andere sich freuen. Das sind Werte, mit denen ich aufgewachsen bin. Auf dem Bauernhof geht das gar nicht anders. Da ist jeder für den anderen da.
hvv switch: Wie bewegst Du Dich durch Hamburg?
Greta: Tatsächlich fahre ich viel mit dem Auto. Aber mittlerweile auch viel mit der Bahn. Auf Leserreisen mache ich alles mit der Bahn, in Hamburg, aber auch außerhalb. Als meine Mutter im Alter zu uns nach Hamburg gezogen ist, hat sie sich in die S-Bahn gesetzt und ist einfach drauf los gefahren. Sie war im Dahliengarten, auf der Trabrennbahn beim Derby usw. Sie hat Stadtteile entdeckt, die ich nicht mal kannte. Die U- und S-Bahn sind in Hamburg ein wunderbares Mittel, um die unbekannte Großstadt zu erkunden: du steigst einfach irgendwo aus und lernst neue Stadtteile kennen. Ich fahre auch gerne mit dem Fahrrad. Aber ich fahre jetzt nicht mehr von Sasel in die Innenstadt, das habe ich früher tatsächlich auch mal gemacht.
hvv switch: Was macht Hamburg im Gegensatz zu andern Städten besonders?
Greta: In Bezug auf den Umgang mit Bekanntheit sind die Menschen aus Hamburg ja zum Küssen. Die kommen nicht ungefragt auf dich zu. Ich erkenne manchmal in den Augen, dass die denken, die kenne ich irgendwo her. Aber sie sind sehr zurückhaltend. Ich war im Urlaub im Hotel in Traben Trabach und da rief eine Frau durch das ganze Restaurant: Sie sind doch Greta Silver! Dann setzte sie sich auch noch bei der Abendveranstaltung neben mich und kuschelte sich fast schon an meine Schulter. Das ist schon seltsam für mich, zumal ich ja den größten Teil meines Lebens, bis auf die letzten Jahre, dieses "Öffentlich Sein" gar nicht kannte.
hvv switch: Was waren Deine größten Rückschläge?
Greta: Natürlich gab es Rückschläge in meinem Leben, der frühe Tod meines Vaters, eine lange Zeit der Kinderlosigkeit, als mein Mann seinen Job verlor und nicht zuletzt meine Scheidung. Aber wenn es weh tat bin ich am schnellsten gewachsen. Das ist wirklich so. Ich habe alles in meinem Leben mittlerweile angenommen. Das hat gedauert. Nicht, dass mir das gleich geschenkt wurde. Mein Mann war in den letzten Jahren meiner Ehe sehr zurückhaltend mir gegenüber. Ich frage mich heute: wenn ich einen Mann gehabt hätte, der mich die ganze Zeit auf Händen getragen hätte, was für eine Zimtzicke wäre ich dann vielleicht geworden? Also ich schocke auch meinen Ex-Mann damit, dass ich sage: ich bin dir dankbar. Nur deinetwegen bin ich die Frau geworden, die ich heute bin. Und dann sagt er: Du würdest mich doch nicht noch mal heiraten. Ich sage: doch natürlich, schon alleine wegen der Kinder.
hvv switch: Hast Du ein Motto?
Greta: Es gab so eine Art Familienmotto: "Wer weiß, wofür es gut ist." Das fanden die Kinder nicht immer witzig. Die wollten sich natürlich auch in ihrem Kummer erst einmal verstanden wissen. Mein Ältester hatte sich z.B. sehr auf eine Wohnung gefreut, die sollte noch renoviert werden, doch dann zerplatzte das alles und wurde eine Eigentumswohnung. Und er war traurig. Aber er fand nachher noch eine bessere Wohnung und sagte dann: Bin ich froh, dass das mit der anderen nicht geklappt hat. Ich sagte: Ja, abspeichern für die nächste Enttäuschung. Wer weiß, wofür das jeweils gut ist. Mein eigenes Motto heute ist: „Wenn nicht jetzt, wann dann!“. Jetzt ist Neuland, jetzt ist spannend.
Lebensfreude? Leichtigkeit. Das Leben lieben. Menschen lieben. Zu wissen, dass es Hochs und Tiefs gibt und die mit offenen Armen anzunehmen. Beziehungen, Menschen, Freunde, Offenheit. Das macht für mich Lebensfreude aus.
hvv switch: Machst Du Sport?
Greta: Ich tanze einmal die Woche Zumba. Das ist herrlich, da kann ich mich eine Stunde total verausgaben. Ich habe auch mal Tai Chi gemacht, mit Musik im Ohr, mit Gesang. Einmal habe ich das z.B. in Rom gemacht auf dem Dachgarten eines Hotels in so einem neuen roten Kleid. Das war ziemlich hoch, über den Kirchtürmen. Ich fühlte mich königlich.
hvv switch: Du hast mit 60 Jahren angefangen zu modeln, warum nicht schon als junge Frau?
Greta: Modeln fand ich früher unanständig. Erstaunlich, was ich damals selber für Grenzen im Kopf hatte. Meine Tochter hat während ihres Studiums gemodelt. Einmal wurden Mutter und Tochter gesucht für eine Augencreme Werbung. Als sie mich dazu überreden wollte, habe ich gesagt: dass kommt gar nicht in Frage, das mache ich nicht. Aber sie sagte: Ich brauche das Geld für mein Studium und das ist doch bescheuert. Und dann habe ich irgendwann Ja gesagt und es hat gar nicht weh getan. Aber ich habe es erstmal meinen Freundinnen nicht erzählt. Das war mir peinlich. Und dann habe ich mich in der Agentur von ihr angemeldet und habe ganz kurz danach einen coolen Auftrag von einer Kaffeefirma gekriegt, für drei Tage gleich.
hvv switch: Wie kam es dazu, dass Du mit 66 Jahren deinen Youtube Kanal gegründet hast?
Greta: Eine Freundin hat zu mir gesagt, sagt doch den Leuten mal, wie toll es ist alt zu werden. Mach doch mal einen YouTube Kanal auf. Und das habe ich auch am nächsten Tag gemacht. Einen Film raufzustellen und einen Film zu machen ist auch leicht gewesen. Aber gefunden zu werden, das ist für mich eine ganz große Schwierigkeit gewesen. Ein halbes Jahr habe ich da wirklich rumgewerkelt. Heute bin ich auch fasziniert, dass ich das durchgehalten habe, mit Tutorials, die du dir anhören und ansehen kannst und Communities, wo du dir Hilfe holen kannst. Manchmal bin ich nachts aufgestanden und habe gesagt: Oh ja, ich habe eine Idee, da fehlt der Haken, da musst du jetzt einen Haken machen. Dann saß man wieder drei Stunden und es hat nicht funktioniert. Die meisten Influencer sind so Anfang 20 bis 30 und dann hört es auch irgendwann wieder auf. Ich bin in Deutschland offensichtlich so ein Exot.
hvv switch: Gibt es irgendwas, was du unbedingt noch machen möchtest?
Greta: Also ich könnte mir vorstellen, noch mal Saxophon zu lernen. Ich habe ja Blockflöte gespielt und wenn du Blockflöte gespielt hast als Kind, kannst du etwas Saxophon spielen. Also nicht für die Elbphilharmonie, sondern für mich zur Bereicherung. Ich kenne jemanden, der hat mit 60 angefangen Gitarre zu spielen und der hatte mit einem Mal eine Rockband. Die machen den Mick Jagger und einmal im Jahr mieten die dann einen Saal, laden ein und da rockt die Bühne. Das ist Spaß für die Leute. Und wenn ich eine Gruppe finde, wo ich so ein bisschen mitmachen könnte, fände ich das ganz cool.
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